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Jeans Tasche

In Deutschland ist die Konsumlust ungebremst, heißt es bei führenden Meinungsforschungsinstituten. Das mag für die Konjunktur zwar gut sein, unter Umweltgesichtspunkten ist die Entwicklung allerdings verheerend. Kreative Köpfe widmen sich dem Problem des immensen Rohstoffverbrauchs auf ganz unterschiedliche Weise und entwickeln Lösungen, um aus Alt wieder Neu zu machen. Upcycling wird zu einem attraktiven Markt.

 

In jedem Modemagazin ist es zu sehen: Ethnostyle ist gerade in, man trägt wieder Ponchos, Kimonos und exotische Accessoires. Große Modeketten machen das Mitmachen leicht, indem sie passende Outfits für wenig Geld anbieten. Nicht inbegriffen ist dabei der hohe ökologische und soziale Preis – zumal die meisten Neukäufe nur kurze Zeit im Schrank verweilen, um schon bald wieder Platz zu machen für die nächste Modewelle. Ganze 5,8 Millionen Tonnen Kleidung werden nach Angaben von Greenpeace in Europa pro Jahr weggeworfen, nur ein Bruchteil davon findet ein zweites Leben über Tauschbörsen oder Second Hand Läden. Doch auch was im Container landet, ist meist noch Wertstoff, der per Upcycling wieder attraktiv werden kann.
Das sieht man im Münchner NähWerk, wo unter dem Label „Einzigware“ Spielzeug, Wohntextilien und Accessoires entstehen. Vor kurzem kam eine große Lieferung des Münchner Abfallwirtschaftsbetriebes AVM. Die ausrangierten Arbeitskluften hat das Schneiderteam unter Regie von Designerin Betty Gerling zu Produkten wie Hundespielzeug, Taschen und Fahrradzubehör verarbeitet. So umfangreiche Textilspenden sind eher selten, meist kommt Gebrauchtes aus Privathaushalten. Dann entstehen zum Beispiel Kissen aus Herrenhemden oder gehäkelte Teppiche aus Poloshirts.
Auch der Münchner Secondhandladen VINTY‘S lebt von Kleiderspenden und hat Upcycling als neues Marktsegment entdeckt. Neben Kleidung aus zweiter Hand gibt es dort seit Herbst eine eigene Upcycling-Kollektion und am 12. März 2016 erstmals einen Nähkurs: Für 50 Euro wird vermittelt, wie aus alten Stoffen eine modische Kimonojacke entsteht. Anmelden kann man sich über muenchen@vintys.de.

Vom Müll zur Mode

Selbst Unternehmen, die vom ständigen Wechsel der Mode leben, entdecken mehr und mehr den ökologischen Sinn und die wirtschaftlichen Vorteile des Upcyclings. PYUA genießt in dieser Hinsicht Pionierstellung. Der Kieler Outdoor-Hersteller hat ein Rücknahmesystem eingeführt und gewinnt aus alten Funktionsjacken, -hosen oder -shirts den Stoff für neue Kollektionsteile. So entsteht ein geschlossener Kreislauf mit ausgezeichneter Ökobilanz: Der Energiebedarf liegt etwa bei einem Fünftel, der CO2 Ausstoß bei einem Viertel und der Rohölverbrauch bei 0 Prozent der herkömmlichen Polyesterproduktion.
In Italien löst Econyl mit der Herstellung von nylonähnlichen Kunstfasern ein gravierendes Umweltproblem: Denn der innovative Kunststoff besteht aus verlorenen Fischernetzen, die geschätzte zehn Prozent des Plastikmülls in den Meeren ausmachen und dabei das Leben unzähliger Tiere gefährden. Strumpfhosen, Bademode oder gar Unterwäsche aus Meeresmüll könnte schon bald zur neuen Mode werden.
Das Kölner Unternehmen Ergobag ist bei der Produktion seiner Schulranzen und Rucksäcke ebenfalls auf Kunstfasern angewiesen. Allerdings verwendet es dafür Stoffe, die zu 100% aus recycelten PET Flaschen bestehen. Den gleichen Rohstoff nutzt ChicoBag, um nach dem Motto „Mehrweg statt Einweg“ Einkaufstaschen, Gemüsetüten oder Sandwichverpackungen herzustellen. Besonders kreative Upcycling Ideen findet man auf dem Portal www.greenpicks.de von Annette Husmann. Dort gibt es zum Beispiel Taschen aus Fahrradschläuchen, Sitzkissen aus Sicherheitsgurten oder Lampen aus Schrott.

Fundgrube für Individualisten

Auch Marc Rexroth zeigt, dass Gebrauchtes noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Der ehemalige BWL-Student kam während eines Schreinereipraktikums auf die Idee, „Möbel mit Vorleben“ zu entwickeln und gründet die Firma Reditum. Seither lässt er in sozialen Werkstätten aus Einwegpaletten, Dielenbrettern, Eisenteilen, Seesäcken und anderen Werkstoffen Unikate wie das Moveo Regalsystem oder den Sessio Sitzsack fertigen. Jedes Teil erzählt mit seinen Macken, Kerben und Gebrauchsspuren eine eigene Geschichte, und genau diese Individualität schätzen die Kunden.
Mit seinem stimmigen Konzept hat Reditum auch Einzug in den Online-Shop www.interiorpark.com gehalten. Betreiber ist eine engagierte Stuttgarter Agentur, die sich mit nachhaltigen Designermöbeln und Wohnaccessoires einen Namen gemacht hat. Viele der dort angebotenen Produkte stammen aus Upcycling. So zum Beispiel das „Magnetic Wallpaper“ aus alten Tapetenstücken, der „Vintage Belt Floor“ aus recycelten Ledergürteln oder „Save our Soup“, eine kunterbunte Pendelleuchte aus eingeschmolzenen Duschgelflaschen. Selbst ausgedienten Bodenbelägen kann man neues Leben einhauchen, wenn man nur kreativ genug ist. Miinu, ein kleines Unternehmen aus dem Ruhrpott, verarbeitet alte Perser mit Hilfe von Zitronensaft, Joghurt und handwerklichem Geschick zu einzigartigen Patchwork-Teppichen. Und der Londoner Design-Student Da-niel McLaughlin kam auf die Idee, Auslegware in Reisekoffer zu verwandeln. Die Wollfasern tränkt er mit einem Wachs aus lokal angebautem Rapsöl, presst sie in Form und fertigt so seinen – zwar preisgekrönten, aber leider noch nicht serienreifen – Terracase.

Upcycling schafft Arbeitsplätze

Ob NähWerk, VINTY‘S, Greenpicks oder Reditum: Viele Unternehmen aus der Upcycling-Szene haben nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein soziales Ziel. Damit folgen sie dem guten Beispiel von Fairhandelsorganisationen, die für Taschen aus Zementsäcken, Schüsseln aus Altpapier oder Spielzeug aus Blechdosen einen Absatzmarkt geschaffen haben. Wie in den Ländern des Südens, werden auch hier bei uns benachteiligte Menschen integriert, die anderswo kaum Chancen haben, ihre Fähigkeiten einzubringen. Die Alexianer Werkstätten, eine Einrichtung für Menschen mit psychischen und geistigen Behinderungen in Köln, gehören dazu: Dort lässt die Designerin und Textilingenieurin Claudia Warda aus der ausgesonderten Musterware von Stoffherstellern Tischwäsche, Plaids und Kissenhüllen fertigen. Auf diese Weise rettet sie wertvolle Rohstoffe vor dem Wegwerfen und trägt gleichzeitig zur beruflichen Wiedereingliederung der Patienten bei.
Auch in der Flüchtlingsarbeit wird Upcycling zu einem Thema: Workshops entstehen, in denen junge Menschen Altes in Neues verwandeln und dabei ganz nebenbei die Sprache lernen. Nicht direkt über Upcycling, sondern über lebendige Integration haben Asylsuchende in Wien berufliche Perspektiven gefunden: Dort hat vor einem Jahr das Magdas Hotel eröffnet, das 78 Zimmer im Upcycling-Stil und die Weltoffenheit 14 verschiedener Nationen bietet.

Claudia Mattuschat

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