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Ferien K

Nachhaltiger reisen

Ostern, Pfingsten, Sommerferien – wer will in diesen Zeiten schon zu Hause bleiben? Als reiselustigste aller Nationen ist Deutschland rund ums Jahr in allen Teilen der Erde unterwegs. Nachdem Flüge günstig sind wie noch nie, rücken auch entfernteste Ziele in erreichbare Nähe. Der ökologische Fußabdruck, den man dabei hinterlässt, ist allerdings gewaltig. Doch was tun, wenn das Fernweh gar so groß ist?

Keine Frage: Der Luftverkehr ist schlecht fürs Klima und wird bis zum Jahr 2050 nach Ansicht von Experten für rund 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sein. Gerade weil das CO2 dabei in großen Höhen freigesetzt wird, wirkt es sich besonders zerstörerisch auf die Ozonschicht aus und forciert die Erderwärmung durch die Entstehung von reflektierenden Eiswolken. An diesen Tatsachen lässt sich nichts beschönigen, und auch die Aussicht auf technologischen Fortschritt gibt noch keinen Anlass zur Hoffnung. Denn zum einen steckt die Entwicklung solar- oder wasserstoffbetriebener Flugzeuge nach wie vor in den Kinderschuhen und würde erhebliche Investitionssummen benötigen. Und zum anderen wären riesige Anbauflächen notwendig, um als Alternative zum Kerosin Biomasse aus Mais, Zuckerrohr oder ölhaltigen Algen zu gewinnen. Dies wiederum steht dem hohen Bedarf an Lebensmitteln entgegen, für deren Anbau genau diese Äcker und Felder benötigt werden. Das Fatale ist: Die externen Kosten, die beim Fliegen für Klima und Umwelt entstehen, sieht man den Flugpreisen meistens nicht an. Denn im Gegensatz zu Benzin oder Diesel ist Kerosin von der Steuer befreit. Da ergibt sich leicht ein Spielraum für die verlockendsten Preise, mit denen ein Wochenendtrip in den Süden zum echten Schnäppchen wird.

Ausgleich für das Öko-Gewissen

Fünf Quadratmeter Arktiseis verschwinden allein bei einem Flug von Frankfurt nach Singapur – und zwar pro Passagier. Diese erschreckende Rechnung haben die beiden Meteorologen Julienne Stroeve vom National Snow and Ice Data Center im US-amerikanischen Boulder und Dirk Notz vom Max-Planck-Institut in Hamburg aufgestellt. Ausgleichszahlungen im Sinne eines Carbon Offset können den entstandenen Schaden nicht wieder rückgängig machen. Dennoch ist es das Mindeste – und zugleich das Sinnvollste – was man als Flugreisender für das Öko-Gewissen, vor allem aber für Umwelt und Klima tun kann. Sowohl die gemeinnützige Atmosfair gGmbH aus Berlin als auch die Schweizer Stiftung Myclimate finanzieren damit Klimaschutzprojekte nach höchsten Standards, mit denen anderswo auf der Welt zum Beispiel durch Wiederaufforstung der Wälder, Wiedervernässung von Mooren oder den Ausbau regenerativer Energien die gleiche Menge CO2 gebunden wird.
Dazu gehört auch die Kampagne „Neue Energie für Nepal“, die von Atmosfair, Forum Anders Reisen, lokalen Reiseanbietern und der Entwicklungshilfeorganisation Samarth gemeinsam ins Leben gerufen und vom Rat für Nachhaltige Entwicklung zum „Projekt Nachhaltigkeit 2017“ gekürt wurde (siehe auch Seite 34). Ihr Ziel ist zum einen, die erdbebengeschädigte Bergregion Helambu auf nachhaltige Weise wiederaufzubauen und mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Zum anderen soll durch die Errichtung des Climate-Trek-Helambu und seiner umweltfreundlichen Lodges auf nachhaltige Weise der Tourismus angekurbelt werden – denn der gehört zu den wichtigsten Einnahmequellen des Landes.

Fernreisen mit Sinn und Verstand

Das Beispiel zeigt, dass Flugreisen – trotz ihrer ökologischen Schattenseiten – durchaus im ökonomischen und sozialen Sinne nachhaltig sein können. Denn es gibt viele Fernziele, wo der Tourismus unverzichtbar für die Wirtschaft des Landes oder bestimmter Regionen ist. Damit die Menschen dort jedoch wirklich von den Gästen profitieren und das Geld in der lokalen Wertschöpfungskette bleibt, sollte man möglichst einheimisch geführten Unterkünften mit regionaler Verpflegung und öko-sozialem Anspruch den Vorzug geben. Wie bei Bio-Lebensmitteln weisen auch im Tourismus Siegel den Weg zu vertrauenswürdigen Angeboten. Wer als Anbieter beim Hamburger Dachverband Forum Anders Reisen vertreten sein möchte, muss nach CSR Tourism Certified geprüft sein. Das Zeichen wird durch die unabhängige Kontrollstelle TourCert vergeben, die die Umwelt- und Sozialverträglichkeit des jeweiligen Veranstalters prüft – und zwar vom Papierverbrauch im Büro über die Art der Anreise, den Umgang mit den Ressourcen bis hin zu fairen Löhnen für die Mitarbeiter. Gleichzeitig hat Forum Anders Reisen einen Kriterienkatalog für umwelt- und sozialverträgliches Reisen aufgestellt, den jedes der rund 130 Mitglieder erfüllen muss. Veranstalter wie Reisen mit Sinnen, Auf und Davon Reisen oder WomenFairTravel gehören dazu und zeigen mit ihren Angeboten, dass Fernreisen mit dem ökologischen und sozialen Gewissen vereinbar sein können. Allen gemeinsam ist, dass sie den eigentlichen Sinn des Reisens verfolgen: die Begegnung mit Land und Leuten, die man in keinem anonymen All-Inclusive-Hotel findet.

Je kürzer die Reise desto näher das Ziel

Das wiederum soll kein genereller Freibrief für Fernreisen sein. Denn auch wenn das Ziel eine Öko-Lodge mit Bio-Küche ist, wenn alle Urlaubsaktivitäten umweltgerecht geplant sind und man sich vor Ort nur zu Fuß, per Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegt: Es bleiben die Treibhausgasemissionen, die beim Hin- und Rückflug entstehen und durch Carbon Offset nur ausgeglichen, aber nicht wieder ausradiert werden können. Je kürzer die geplante Reise, desto näher sollte also das Ziel liegen. Denn sonst stehen die Umweltschäden in keinem Verhältnis zum eigentlichen Urlaubsgenuss. Und mal abgesehen vom ökologischen Aspekt: Wer kann sich schon erholen, wenn er den Großteil seiner wertvollen Freizeit am Flughafen oder in der Luft verbringt?
Fluglos-gluecklich.de fasst die Reisemöglichkeiten zusammen, die ganz ohne Fliegen auskommen. Nachhaltig orientierte Reisebüros und -veranstalter für verschiedenste Zielgruppen – von Singles über Familien bis zu Sport- und Kulturinteressierten – sind dabei ebenso vertreten wie Busunternehmen oder Plattformen für private Mitfahrgelegenheiten. Auch die Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaft Tagwerk, die man eigentlich eher vom Einkaufen kennt, hat mit Tagwerk Reisen eine ökologische Gegenbewegung zum Massentourismus geschaffen. Unter www.tagwerk.info/reisen.html werden nicht nur umweltfreundliche Wander- oder Radreisen angeboten, sondern auch Reiseberichte und Links zu gleichgesinnten Veranstaltern.

Microadventures liegen im Trend

Tatsächlich müssen es ja auch gar nicht immer exotische Ziele sein, um echte Abenteuer zu finden. Denn das Gute, das wusste schon der reisebegeisterte Goethe, liegt so nah. Frei nach diesem Motto hat der Trägerverein Viabono auf seiner Website www.viabono.de nachhaltige Tourismusangebote gebündelt, die sich ausschließlich in Deutschland abspielen – darunter Eseltrekkings, Draisinen- und Kanutouren in Gegenden, die fast vor der Haustür liegen und doch meist unbekannt sind. Der Brite Alastair Humphreys hat den Trend zum Microadventure eingeläutet, hinter dem sich nichts anderes verbirgt als ein „kurzes Abenteuer, das einfach, lokal und günstig umzusetzen ist – und dennoch Spaß macht, aufregend, herausfordernd und erfrischend ist und sich lohnt“. Bunterwegs.com hat dafür einige Ideen wie „einem Fluss bis zur Quelle folgen“, „den Zug zu einem unbekannten Ort nehmen und mit dem Fahrrad zurückfahren“, „das nächste Familienfest zu Fuß besuchen“ oder einfach mal „irgendwo draußen zu übernachten“. Echte Mikroadventures kann man aber auch bei den Wanderungen, Exkursionen und Bildungsprojekten erleben, die auf VenGo.de vorgestellt werden.

Claudia Mattuschat