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Bio-Produkte aus der Region

Die Landwirtschaftspolitik in Brüssel kommt in Sachen Nachhaltigkeit nur schleppend voran. Und auch in Berlin scheint man es bei der vehement geforderten Agrarwende nicht allzu eilig zu haben. Deshalb nehmen viele Kommunen den Ausbau des Öko-Landbaus inzwischen selbst in die Hand. Allein in Bayern sind 27 so genannte Öko-Modellregionen entstanden, in denen ErzeugerInnen und VerarbeiterInnen standortnahe Wertschöpfungsketten geknüpft haben. Das Ziel des Freistaats von 30 Prozent Bio bis 2030 rückt damit in erreichbare Nähe.  

Wenn Rohstoffe ökologisch angebaut und in der Region verarbeitet werden, entstehen Öko-Produkte im wahrsten Sinn des Wortes. Über klimafreundlich kurze Wege kommen sie zu den KundInnen, die ihren Wunsch nach mehr Bio von daheim in Umfragen immer wieder deutlich kundtun. Schließlich bieten solche Lebensmittel nicht nur in punkto Klimaschutz, Tierwohl und Artenvielfalt zahlreiche Pluspunkte. Sondern sie sorgen auch für mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungskette. Einer, der diesen Heimvorteil schon seit langem sieht und ausbaut, ist Frank Schubert. In der Öko-Modellregion Stadt.Land.Augsburg betreibt er die Bio Bäckerei Schubert, die sowohl nach den Bioland Richtlinien als auch nach den Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie zertifiziert ist. Eine wichtige Rolle spielt dabei die regionale Rohstoffbeschaffung, die für alle Beteiligten fair zu gestalten ist. Vor fast zehn Jahren wurde zu diesem Zweck die Schubert-Regiokorn Partnerschaft mit 14 Bioland Betrieben ins Leben gerufen. Im Umkreis von maximal 80 Kilometern bauen sie das Getreide an, das in der betriebseigenen Vollkornmühle vermahlen und schließlich in der Backstube verarbeitet wird. Anbau-, Ernte- und Produktionsvolumen werden auf diese Weise für Bauern, Müller und Bäcker planbar. Und die Kunden wissen genau, wo Brot und Semmeln herkommen.

Alte Sorten neu entdeckt

Neben der Bewahrung gewachsener Partnerschaften geht es in den Öko-Modellregionen vor allem darum, die Entwicklung neuer Produkte und Vermarktungswege voranzutreiben. Schließlich hat sich Bayern mit seinem BioRegio 2030  Programm ein recht ambitioniertes Ziel gesteckt. Auch alte, fast vergessene Sorten bekommen dabei eine neue Chance. Während Brote, Müslis oder Nudeln aus Urgetreide wie Einkorn, Emmer und Kamut längst bekannt sind, werden der „Nördlinger Rote“, der „Lauinger Dickkopf“ oder der „Mauernde begrannte Dickkopf“ gerade erst im Rahmen eines Forschungsprojekts der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft zur „Erhaltung bayerischer, landwirtschaftlicher pflanzengenetischer Ressourcen“ aus der Versenkung geholt. Mehr als 700 alte bayerische Getreidesorten hat Dr. Klaus Fleißner vom LfL-Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung mit seinem Team wiedergefunden und erfasst. Den Anbauversuch wagte heuer Bio-Landwirt Jakob Greiner im schwäbischen Auerbach, wo vor wenigen Wochen die erste Ernte eingefahren wurde. Bäcker Georg Schneider wird nun die Backeigenschaften prüfen und bei entsprechendem Erfolg das Sortiment seiner Augsburger Vollwertbäckerei um regionale Bio-Spezialitäten erweitern.

Preisgekrönte Bioprodukte

Überhaupt ist die Förderung von Öko-Modellregionen eine echte Chance, sich wieder auf Traditionen zu besinnen. Dazu gehört in Bayern neben Grundnahrungsmitteln wie Brezn und Bier natürlich auch die Weißwurst, die dem Volksmund nach nie das Mittagläuten hören sollte. Viele Metzgereien machen aus der richtigen Zubereitung eine echte Wissenschaft. Eine hat beim LVÖ Wettbewerb „Bayerns beste Bioprodukte“ gerade erst die Goldmedaille gewonnen: Die Tagwerk Bio Weißwurst überzeugte die Jury nicht nur wegen ihres perfekten Bisses und ihres frischen, würzigen Geschmacks. Sondern es wurde auch honoriert, dass die Bio-Metzgerei aus Niederhummel bei Freising in besonderem Maß auf artgerechte Tierhaltung, nachhaltigen Rohstoffbezug und handwerkliche Verarbeitung achtet. Wie früher üblich bezieht sie alle Zutaten aus der direkten Region und verarbeitet sie im Warmfleischverfahren. Das bedeutet, dass Schweine- und Kalbfleisch schlachtfrisch gewolft werden, so dass der Wurstteig statt mit Phosphat auf natürliche Weise gebunden wird. Nicht nur im Kulturraum Ampertal, sondern auch in zwei anderen Öko-Modellregionen wurden übrigens „Bayerns beste Bioprodukte 2021“ gekürt: Silber ging an die Bioland-Imkerei Honiglandschaft im Paartal für ihren Ackerbohnenhonig und die besondere Förderung der Artenvielfalt. Bronze bekamen Koriander von Herbaria und Linsen von UNSER LAND im Miesbacher Oberland.

Klima und Tierwohl im Fokus

Preisverleihungen wie diese sind gut. Noch besser aber ist es, wenn die KonsumentInnen heimische Lebensmittel wieder mehr zu schätzen wissen. Laut Öko-Barometer, das vom BMEL Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft  alljährlich in Auftrag gegeben wird, hat die Corona Pandemie einen Wandel in diese Richtung mit sich gebracht. Fast ein Fünftel der Befragten geben an, den Umgang mit Lebensmitteln positiv verändert zu haben. 20 Prozent greifen öfter zu Regionalprodukten, bei 15 Prozent landet mehr Bio als zuvor im Einkaufswagen. Gesundheitlicher Nutzen, faire Produktionsbedingungen und Geschmack werden als Gründe genannt. Vor allem aber sind artgerechte Tierhaltung und ökologische Aspekte für 51 Prozent kaufentscheidend. Der Wunsch nach einer umwelt-, klima-, tier- und menschenfreundlichen Land- und Lebensmittelwirtschaft verändert nicht nur den Konsum, sondern lässt immer mehr Menschen selber Hand anlegen. Das Kartoffelkombinat ist ein gutes Beispiel: Vor den Toren Münchens vereint es rund 1.800 Mitglieder, die ihr Gemüse unter fachkundiger Anleitung anbauen und ernten. Drei davon haben mit dem Haderner Bräu ein Projekt ins Leben gerufen, das über den erneuten Ausfall des Oktoberfestes etwas hinwegtröstet: Aus regionalem Gerstenmalz und Hopfen der Sorte Ariana wurde das erste KK-Kellerbier gebraut und unter den Genossinnen und Genossen verteilt.

Bio als Gemeinschaftsprojekt

Überhaupt wird der ökologische Wandel immer mehr als gemeinsame Aufgabe verstanden. Frei nach dem Motto „Was die Politik nicht schafft, machen wir einfach selber“ entstehen allerorts solidarische Landwirtschaften und Genossenschaften, in denen KonsumentInnen zu aktiven UnterstützerInnen werden. Vor einigen Jahren ist in der bayerischen Landeshauptstadt die Genussgemeinschaft Städter und Bauern e.V. gegründet worden, die sich für den Erhalt der regionalen Lebensmittelvielfalt einsetzt und seither gezielt bei kleinbäuerlichen Betrieben im Umland einkauft. Und im Juli hat im Münchner Stadtteil Obergiesing erstmals ein solidarischer Mitmach-Supermarkt seine Türen geöffnet. FoodHub München verkauft zu günstigen Preisen fair gehandelte, überwiegend ökologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region an aktuell 900 Mitglieder. Um dabei zu sein, muss man eine Genossenschaftseinlage von 180 Euro zahlen und die Gemeinschaft drei Stunden pro Woche in Laden, Mitgliederbüro oder Aufgabenbereichen wie Sortiment, IT, Kommunikation oder Events unterstützen.

Kein schlechter Deal, wenn man bedenkt, dass all das Engagement in die Verwirklichung einer nachhaltigen, sozial gerechteren Agrar- und Ernährungswende fließt. Die Hoffnung, dass in Brüssel und Berlin die notwendigen Weichen zeitnah gestellt werden, haben viele bereits aufgegeben. Jetzt krempeln sie selber die Ärmel hoch und zeigen, wie‘s geht.

Claudia Mattuschat