Im 19. Jahrhundert wurde Schokolade wegen ihrer angeblich positiven Wirkung auf die Gesundheit in der Apotheke verkauft. Als Medikament geht sie heute nicht mehr durch. Doch ihr Image als Glücklichmacher, Aphrodisiakum, Leistungssteigerer oder gar Suchtmittel konnte sie bewahren.
Tatsächlich bescheinigen Ernährungswissenschaftler ihr so manche potenziell wirksamen Inhaltsstoffe. Was jedoch eigentlich zählt, ist die Güte des Kakaos, aus dem sie hergestellt wird. Und da lohnt sich ein tiefer Blick in den „Beipackzettel“.
Kakao gehört, mal abgesehen von Kaffee und Erdöl, zu den am meisten gehandelten Rohstoffen der Welt. Absoluter Spitzenreiter unter den Abnehmern ist Europa, wo er seit Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt ist. Damals brachte der spanische Seefahrer Hernando Cortes „Theobroma Cacao“, zu Deutsch: die „Speise der Götter“, aus Mittelamerika mit. Lange Zeit war das herbdunkle Getränk nur dem Adel vorbehalten, bis schließlich Maschinen zur Verarbeitung der Bohnen eine Produktion für den Massenmarkt möglich machten. Durch Pressen gewann man Kakaobutter für Schokolade und Presskuchen, die zu Kakaopulver vermahlen wurden. Deutschland wurde eines der führenden Verarbeitungsländer und hat mit neu entstehenden Schokoladendynastien wie Halloren, Stollwerk, Rausch oder Hachez wesentlich zum rasanten Anstieg der Kakaonachfrage – und damit zur Verknappung des Rohstoffs – beigetragen. Es mussten also neue Ideen zur Bedarfsdeckung gefunden werden.
Plantagen als Goldgruben
Die Heimat des Kakaos liegt aus gutem Grund in Äquatornähe, denn nur hier findet der empfindliche Baum die gleichbleibend feuchtwarme Umgebung, die er zum Gedeihen braucht. In den westafrikanischen Kolonien von Spanien oder den indonesischen Kolonien der Niederlande gab es zwar ähnliche klimatische Bedingungen. Doch hat man sich bei der Ausdehnung auf neue Anbaugebiete über eine andere, ebenso wichtige Tatsache hinweggesetzt: Kakao ist Teil eines Agroforstsystems und braucht den stockwerkartigen Aufbau des Regenwaldes, um gesund zu bleiben. In den übervollen Plantagen, die im Zuge der Kommerzialisierung geschaffen wurden, bekamen die Monokulturen schnell Krankheiten, die mit Pestiziden in Schach gehalten werden mussten. Mit entsprechend hohen Düngergaben war es dennoch möglich, gigantische Ernteerträge zu erzielen, und so wurde Kakao zum „schwarzen Gold“, das auch der lokalen Bevölkerung einigen Wohlstand brachte. Nach dem Höchststand, den der Kakaopreis noch in den 1970er Jahren erzielte, kam jedoch ein ebenso steiler Abstieg: Trotz des steigenden Konsums wurde nun zu viel Kakao produziert, und als auch noch die Preisbindung am Weltmarkt wegfiel, waren die Plantagen nicht mehr rentabel.
Kleinbauern machen den Markt
Heute wird der weltweite Kakaobedarf zu mehr als 90 Prozent von Kleinbauern gedeckt, die in der Regel weniger als fünf Hektar Land bewirtschaften. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Fünfeinhalb Millionen Farmer leben mit ihren Familien vom Kakao, zuzüglich all der Arbeiter, die sie für die aufwändige Ernte benötigen. Denn die Schoten müssen einzeln mit der Machete abgeschlagen und von Hand zerteilt, anschließend die Bohnen herausgeholt, in Bottichen fermentiert und getrocknet werden. Die Hauptsaison dafür ist von Oktober bis April, aber auch von Mai bis August reifen immer wieder Schoten nach, aus deren Bohnen man etwa zwei Tafeln Schokolade gewinnen kann. Ein Baum bringt demnach rund 40 Tafeln zu 100 Gramm pro Jahr – das liest sich allerdings nur auf den ersten Blick wie eine gute Einkommensquelle. Denn tatsächlich bekommen die Erzeuger nur wenige Cent für ihre Ernte, während Hersteller, Einzel- und Zwischenhändler sich den großen Umsatzkuchen teilen. Ist schon das Geld zum Leben für die Kleinbauernfamilien knapp, reicht es erst recht nicht für erwachsene Erntehelfer. Viele weichen daher auf Kinder als billige Arbeitskräfte aus – allein an der Elfenbeinküste sollen es nach Angaben des Südwind Instituts rund 800.000 sein.
Zurück zu den Wurzeln
Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Missstände haben schließlich Organisationen auf den Plan gerufen, die den Markt aus verschiedenen Richtungen retten wollen. UTZ Certified ist 2002 von einer gleichnamigen Stiftung in Amsterdam ins Leben gerufen worden und verfolgt das Ziel, über Produktionssteigerungen das Einkommen der Kleinbauern zu verbessern. Die internationale Umweltschutzorganisation Rainforest Alliance konzentriert sich vor allem auf Umweltbelange wie die Bewahrung von Artenvielfalt und Tropenwäldern. Beide sind auch im Forum Nachhaltiger Kakao, in dem sich seit 2012 Bundesregierung, Süßwarenindustrie und Nichtregierungsorganisationen für die Zukunft des Kakaos und seiner Erzeuger stark machen. Die ganzheitlichste Problemlösung strebt Fairtrade an: Hier gehen faire Preise und Arbeitsbedingungen mit Naturschutz – und immer öfter auch mit ökologischem Anbau – Hand in Hand. Noch ist der Marktanteil der zertifizierten Kakao- und Schokoladenprodukte mit unter einem Prozent sehr gering. Doch zeigt die aktuelle Nachfrageentwicklung, dass die Verbraucher Öko und Fair immer mehr mit einer besonders hohen Qualität in Verbindung bringen und entsprechend gerne kaufen. Gerade im Naturkosthandel werden viele Schokoladenprodukte angeboten, die beide Aspekte erfüllen. Fairer Handel wird dort allerdings oft als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Unternehmen wie zum Beispiel Vivani zeigen ihr Engagement nicht mit einem extra Fair Siegel.
Edel und Bio als Trend
Durch Züchtungen gibt es heute Tausende von Kakaosorten, die aus dem mittel- und südamerikanischen Criollo und dem am Amazonas beheimateten Forastero hervorgegangen sind. Am meisten angebaut werden Konsumkakaos, bei denen die Masse im Vordergrund steht. Der Trend geht heute jedoch wieder zum Luxusprodukt aus sortenreinem Edelkakao, für den die Kleinbauern insbesondere bei Bio-Qualität bis zu 10mal höhere Preise erzielen. Fairtrade Organisationen wie GEPA unterstützen ihre Partner daher auch bei der Umstellung auf Öko-Anbau und beim Aufbau eigener Nacherntestationen. Die Kooperative CECAQ-11 in São Tomé e Principe, deren Kakao für GEPA Grand Noirs und Grand Chocolats verwendet wird, musste ihre Ernte noch vor wenigen Jahren zu Dumpingpreisen an Zwischenhändler verkaufen. Seit Einzug des Fairen Handels bekommen die Kleinbauern angemessene Preise, sie konnten sich bio-zertifizieren lassen und von ihrer Fair Prämie anschaffen, was sie für Fermentierung und Trocknung der Kakaobohnen benötigen. Ähnlich ist es beim Lovechock Team aus Amsterdam, das mit roher Schokolade in veganer Qualität einen besonderen Markt bedient. Liebe steht dort im Mittelpunkt, und das bezieht sich sowohl auf die Herstellung als auch auf den Umgang mit den Mitarbeitern, den Lieferpartnern und der Natur.
Claudia Mattuschat