Öko-Milch ist ihren Preis wert
Sparsamkeit mag ja als Tugend gelten. Bei Billigmilch muss jedoch Schluss sein. Was am konventionellen Markt teilweise für 60 oder 70 Cent über das Kassenband läuft, ist nämlich Ausdruck eines durch und durch verkorksten Systems: Mit immer mehr Hochleistungskühen wird viel zu viel Milch erzeugt. Doch kaum ein Bauer kann davon noch leben, wenn nicht am Jahresende die rettenden Subventionen aus Brüssel kämen.
Dass Rinder heute ein schlechtes Image als Klimakiller haben, ist dem Irrsinn der Massentierhaltung geschuldet. Die Milchkuh ist das beste Beispiel: Würde man sie, wie von der Natur gedacht, nur mit Gras füttern, gäbe sie täglich etwa acht Liter Milch. Viel zu wenig, findet die Industrie, und setzt auf hochpotentes Kraftfutter, das bis zu 40 Liter Output pro Tier und Tag ermöglicht. Oft handelt es sich dabei um Sojabohnen, die auf abgeholzten Regenwaldflächen in Südamerika angebaut und billig exportiert werden. Die Hülsenfrucht ist reich an Proteinen, ohne die die geforderten Turboleistungen nicht möglich wären. Proteine jedoch enthalten sehr viel Stickstoff, der zum Großteil mit der Gülle auf den Äckern landet, da die Kuh lediglich ein Drittel des Kraftfutters verwerten kann. Und schon ist man beim Problem: Aus derart überdüngten Böden gelangt nämlich nicht nur gesundheitsschädliches Nitrat ins Grundwasser, sondern auch Lachgas in die Atmosphäre. Und das befeuert den Klimawandel noch weitaus mehr als Kohlendioxid.
Weniger ist mehr
Aus gutem Grund schreiben Öko-Anbauverbände wie Demeter, Naturland oder Bioland ihren Mitgliedern deshalb eine flächengebundene Tierhaltung vor: Die Zahl der Kühe steht dabei im Einklang mit der Mistmenge, die für die Versorgung der Ackerflächen und den Anbau des – im Idealfall gesamten – Futters benötigt wird. Statt ihre Böden zu überdüngen, bauen die Milchbauern mit dem richtigen Maß an Dung fruchtbaren Humus auf, der Kohlendioxid aus der Luft bindet. In einem derart geschlossenen System ist die Kuh also nicht länger der gefürchtete Klimakiller, sondern sinnvoller Teil einer ökologischen Kreislaufwirtschaft. Die Milchmassen, die am konventionellen Markt angestrebt werden, sind dabei nicht das Ziel. Vielmehr geht es um eine hohe Qualität der Produkte, die durch artgerechte Weidehaltung und Grünfütterung nachweislich steigt. Studien zeigen, dass Öko-Milch weit mehr gesunde Omega-3-Fettsäuren und lebensnotwendige Vitamine enthält und weniger schadstoffbelastet ist als konventionelle Produkte. Auch im Geschmackstest schneidet sie regelmäßig besser ab. Wenngleich ihr Anteil am Gesamtmarkt erst bei rund drei Prozent liegt: Das Wachstum der Bio-Milchlieferungen um 18 Prozent im Jahr 2017 und der steigende Abverkauf zeigen, dass diese Botschaft langsam, aber sicher beim Konsumenten ankommt. Und das ist gut so, denn nach einer Rechnung der Andechser Molkerei Scheitz trägt schon der Kauf von einem Liter Öko-Milch dazu bei, dass zweieinhalb Quadratmeter Fläche ökologisch bewirtschaftet werden können. Wie viele wären es erst, wenn jeder auf Bio setzen würde?
Bio rettet Bauern
Für die Bauern ist Bio in der Regel weniger eine Frage des guten Geschmacks, als vielmehr eine Frage der Existenzsicherung. Denn am konventionellen Markt ist man heute kaum noch wettbewerbsfähig, wenn man nicht mindestens einhundert Kühe hat – und das trifft nur auf etwa ein Drittel aller Milchviehbetriebe in Deutschland zu. Allein zwischen 2016 und 2017 mussten nach Angaben der AMI Agrarmarkt Informations-Gesellschaft 5,6 Prozent von ihnen chancenlos aufgegeben. Andere haben die Öko-Umstellung gewagt und dadurch Anschluss an einen Wachstumsmarkt gefunden, der sich immer mehr auf Fairness besinnt. Vorreiter ist die Molkerei Berchtesgadener Land, die seit jeher eine Pionierstellung in Bayern hat: 1973 war sie dort die erste Bio-Molkerei, 2010 die erste mit Naturland Fair Zertifizierung. Seit Jahren zahlt die engagierte Genossenschaft ihren Bauern den national höchsten Milchpreis, der für Naturland zertifizierte Bio-Milch derzeit bei 52,58 Cent pro Liter liegt. (Zum Vergleich: Die Billigmilch aus dem Discounter wirft oft nur 20 Cent ab, die nicht einmal ansatzweise die Kosten geschweige denn die Arbeitsleistung der Bauern decken.) Damit das funktioniert, werden die Gewinne nicht einbehalten, sondern in die Standortsicherung investiert und mit dem Milchgeld an die Mitglieder ausbezahlt. Dadurch sind auch kleine Betriebe in der Lage, von ihrer Arbeit zu leben und zukunftsfähig zu bleiben.
Milch im Überfluss
Bayerns neue Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ist selbst im Berchtesgadener Land aufgewachsen. Daher kennt sie nur zu gut die kleinstrukturierte Landwirtschaft, die in der Alpenregion vorherrscht und dabei Kulturlandschaften bewahrt, Erholungsräume schafft und der Region ihren typischen Charakter verleiht. Eine Milchkrise, wie sie 2015 die Branche erschütterte, ist für solche Betriebe fatal. Vor allem wenn man bedenkt, dass Bayern 50 Prozent der deutschen Bio-Milchmenge produziert. Erst kürzlich appellierte die Politikerin daher an die große Verantwortung der Molkereien, Laufzeiten, Abnahmemengen und Preise im Vorfeld mit den Milchbauern festzulegen. So soll vermieden werden, dass zu viel Milch erzeugt und am Ende zu Schleuderpreisen verkauft wird. Fairness ist dabei gefragt, damit es Bayerns Bauern nicht so geht wie vielen ihrer Kollegen in Deutschland und anderen EU-Ländern: Sie produzieren mit immer mehr Kühen in immer größeren Ställen immer mehr Milch – für die sie immer weniger Geld bekommen. Subventionen halten das fatale System am Leben, das nicht nur in Europa, sondern auch in Westafrika ökonomischen Schaden anrichtet. Dort nämlich wird der ungezügelt produzierte Überschuss als billiges Milchpulver verkauft mit dem Effekt, dass einheimische Bauern vom Markt verdrängt werden und um ihre Existenz fürchten müssen. Auch das ist eine von vielen Fluchtursachen, die man allzu leicht vergisst.
Klasse statt Masse
Wenn die Politik Milchangebot und -nachfrage wieder in ökonomisch und ökologisch verträglichen Einklang bringen will, ist das sehr begrüßenswert. Noch besser wäre es aber, die Verbraucher würden ihr Einkaufsverhalten ebenfalls mit gesundem Menschenverstand überdenken. Denn der gigantische „Milchsee“, der Bauern, Kühen und Umwelt schadet, ist ja nicht nur dadurch entstanden, dass Milch und ihre zahlreichen Produkte inzwischen selbst in China auf dem Speiseplan stehen. Sondern er ist zunächst einmal Ausdruck für unüberlegten Konsum: Mit pro Kopf und Jahr über 90 Kilogramm Frischmilchprodukten – allen voran Fruchtjoghurt – ist Deutschland weltweit klarer Spitzenreiter. Durch markige Werbesprüche wie „Milch macht müde Männer munter“ oder „Milch ist meine Stärke“ hat allen voran die CMA das Image der unverzichtbaren Eiweiß- und Kalziumquelle von klein auf geschickt in den Köpfen etabliert. Viel zu wenige wissen jedoch, dass ein Zuviel an tierischen Proteinen über kurz oder lang sogar kontraproduktiv ist. Denn es führt zur Übersäuerung, die der Körper mit Kalzium aus den Knochen ausgleicht. Die Rechnung „Je mehr Milchprodukte, desto weniger Osteoporose“ geht also nicht auf. Denn wie so oft im Leben ist es das richtige Maß, das der Gesundheit zuträglich ist.
Gut zu wissen
• Vor 8.000 Jahren haben Bauern die Kuh als Nutztier und Lebensmittelquelle entdeckt.
• In nordischen Ländern können ca. 90 % den darin enthaltenen Milchzucker verdauen.
• Je näher am Äquator, desto höher ist der Anteil der Laktose intoleranten Menschen.
• Allergiker vertragen Milch angeblich besser, wenn die Kühe ihre Hörner behalten.
• Fast 1 Milliarde Kilogramm Bio-Milch wird in Deutschland pro Jahr erzeugt.
• 50 Prozent davon stammen von überwiegend kleinen Betrieben in Bayern.
• Nicht homogenisierte Frischmilch ist am wenigsten verarbeitet und daher gesünder.
• Das Kürzel ESL steht für „Extended Shelf Life“ und damit für länger haltbare Milch.
• Je länger Milch durch Erhitzen haltbar gemacht wird, desto weniger Nähstoffe hat sie.
Claudia Mattuschat