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ÖkomobilSpatz 300

Integrierte Mobilitätswende

E-Mobilität, Autonomes Fahren und aufeinander abgestimmte Verkehrskonzepte: Individualität und Bewegung gehen Hand in Hand. Momentan werden vielerorts die Weichen für den Verkehr der Zukunft gestellt, Klimaschutz und gesellschaftliche Teilhabe müssen dabei an erster Stelle stehen.

Ganz egal ob junge Familie, Senioren oder Studenten: Menschen bilden und prägen das gesellschaftliche Bild der Städte und Gemeinden. Jeder führt sein eigenes Leben, hat unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche. Die Kunst von Verkehrs- und Städteplanern besteht darin, ein Höchstmaß an individueller Freiheit zu gewährleisten und dabei gleichzeitig die Funktionsfähigkeit der Verkehrssysteme zu gewährleisten. Verkehrsräume, die für Kinder, Ältere oder beeinträchtigte Menschen gleichermaßen funktionieren, kommen laut des aktuellen Baukulturberichts der Bundesstiftung Baukultur der ganzen Gesellschaft zu Gute und haben eine hohe baukulturelle Qualität. Eine nutzergerechte Neuaufteilung von Verkehrsflächen ist der Stiftung zufolge unerlässlich.

Speziell bei der Bekämpfung des Klimawandels spielt die Neugestaltung des Verkehrs eine maßgebliche Rolle. Laut Umweltbundesamt entsteht in Deutschland neben Stromerzeugung, Industrie und Gebäudeheizung rund ein Fünftel der CO2-Emissionen durch den Straßenverkehr. Unter Stadtplanern sind daher momentan große Konzepte anstatt Einzelmaßnahmen gefragt. Das lässt sich zum Beispiel aus der Konzeptstudie „Integrierte Mobilität im Ruhrgebiet“ herauslesen, die kürzlich von Bochumer Wissenschaftlern veröffentlicht wurde.

Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) reicht nicht aus

Die Experten aus den Fakultäten für Sozialwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft kommen zu dem Schluss, dass speziell in den Ballungsräumen insbesondere die Nutzung von Autos reduziert werden müsse, um den Straßenverkehr umweltfreundlicher, flüssiger und ruhiger zu gestalten. Dies sei möglich, indem zum Beispiel Anreizsysteme im öffentlichen Nahverkehr durch verbesserte städteübergreifende Anbindungen, niedrigere Kosten und kürzere Pendelzeiten geschaffen werden. Auf Grund der Zersplitterung in einzelne Städte mit eigenen Verkehrskonzepten bestehen gerade in deutschen Metropolregionen besondere Herausforderungen einen ganzheitlichen Plan unter Einbeziehung unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure für ein nachhaltig integriertes Mobilitätssystem zu erarbeiten.

Das Verständnis von Mobilität muss also umfassender werden und auch Car-Sharing- und Leihrad-Konzepte integrieren. Gerade der Radverkehr spielt eine immer stärkere Rolle und muss nicht nur deswegen sicherer und nutzerfreundlicher werden. Aber: „Integrierte Mobilität entsteht nicht durch Detailanpassungen existierender Verkehrssysteme, sondern durch ganzheitliche Systemveränderungen. Es ist zum Beispiel nicht ausreichend, lediglich Tarifanpassungen im ÖPNV vorzunehmen oder neue Buchungs- und Fahrplan-Apps zu entwickeln. Ebenso wenig reicht es aus, einzelne Fahrradwege auszubauen, isolierte Busspuren einzurichten oder punktuell Parkraum zu verknappen oder zu verteuern“ schreiben die Autoren der Bochumer Studie. Als Beispiele für gelungene integrierte Verkehrskonzepte nennen sie Städte wie Wien oder Zürich.

Verkehrstransformation durch Digitalisierung

Als Game Changer für eine ganzheitliche Mobilitätswende gilt daher die Digitalisierung. Sie ermöglicht nicht nur verbesserte Fahrplanabrufung, vernetzte Fahrzeuge oder autonomes Fahren; sie führt zu einer weitreichenden Transformation der Mobilität von Personen und Gütern. Durch die smarte Nutzung von Daten lassen sich nicht nur individuelle und dynamische Angebote entwickeln, auch die Planung, Nutzung und Steuerung von Verkehrsmitteln, Verkehrsinfrastrukturen und Verkehrsflüssen lässt sich auf ein höheres Niveau heben. Dadurch werden nicht nur neue Mobilitätsangebote möglich – die Mobilität wird intelligent.

Gleichzeitig erleben wir durch den Ausbruch der Corona-Pandemie eine extrem beschleunigte Entwicklung hin zu Home-Office, Online-Meetings und Videokonferenzen. Viele mussten sich innerhalb von wenigen Wochen auf Digitalarbeit umstellen, während die Verkehrsströme immer dünner wurden. Ein gesellschaftlicher Prozess, der unter normalen Bedingungen wahrscheinlich viele Jahre gedauert hätte und jetzt in der Krise einen Innovations- und Geschwindigkeitsschub mit sich bringen soll. Die Pandemie bietet jetzt mehr denn je die Chance eingeübte Mobilitätsgewohnheiten zu durchbrechen und Mobilität unter dem weiterhin drängenden Handlungsbedarfs beim Klimaschutz unter Einbeziehung eines Höchstmaß an individueller Freiheit weiterzuentwickeln.

Stephan Wild