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Mobilitätswende in Deutschland

Nach der Energiewende kommt nun die Mobilitätswende. Derzeit scheint es jedoch so, als ob das Gerangel zwischen Herstellern, Verbrauchen, Lobbyisten und politischen Entscheidern sowohl Weg als auch Ziel nicht eben positiv beeinflusst. Denn auch hier gleichen sich Energie- und Mobilitätswende: Inhaltliche Kompetenz verliert bisweilen an Bedeutung. Dabei gibt es unumstößliche Fakten und ein großes Ziel: Nachhaltige, vernetzte Mobilität, die nicht auf Verzicht fußt.

 Mit Blick auf Städte wie Stuttgart oder München wird schnell klar, dass es so nicht weiter geht, denn dort wird die Luft zum Atmen dünn und stickig. Das ist nicht nur auf die hohen Feinstaubbelastungen durch Dieselfahrzeuge zurückzuführen. Auch Benzinmotoren belasten die Luft immens, was im Rahmen der Diskussion regelrecht verdrängt wird. Das von Kanzlerin Merkel vorgegebene Ziel von zwei Millionen Elektrofahrzeugen bis 2020 war ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es kürzlich offiziell aufgegeben wurde.
Doch selbst wenn die deutsche Regierungschefin das Ziel aufrechterhalten hätte, aktuell nimmt es keinen Einfluss auf die Schadstoffbelastung in hiesigen Ballungszentren. Von den aktuell rund 40.000 Elektrofahrzeugen ausgehend wird es noch einige Jahre dauern, bis eine systemrelevante Zahl erreicht sein wird. Nur wenn die breit angelegten Förderungsprogramme die Markteintrittsbarrieren überwinden helfen, die Automobilhersteller attraktive Fahrzeuge anbieten und Städte wie Kommunen smarte Verkehrskonzepte entwickeln, wird der Umstieg auf Elektrofahrzeuge gelingen.

Träge Hersteller sind nicht das einzige Problem

Neben den Visionären der E-Mobilitätsbranche wie Tesla bieten nun auch die altbekannten Hersteller serienmäßig Hybrid- oder E-Mobile. Die Fragen nach Reichweite und Lade-infrastruktur klären sich zunehmend. Schon in wenigen Jahren könnte es für alle Verkehrsteilnehmer selbstverständlich sein, Autos auf dem Supermarktparkplatz oder über die eigene Solaranlage aufzuladen.
Die eigentliche Herausforderung:
Die Mobilitätswende ist sehr viel komplexer als die bloße Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs. Zwar würde – ausreichend Produktion sauberen Stroms und nachhaltiger Akku-Technologie vorausgesetzt – ein breiter Einsatz von Elektrofahrzeugen im privaten, öffentlichen wie gewerblichen Rahmen unsere Städte vor dem Schadstoffkollaps retten. Eine echte Verbesserung im Hinblick auf die Dichte von Verkehr und Parkplätzen würde damit jedoch nicht erreicht.

Vernetzt denken

In Zukunft wird es darum gehen, Mobilität gänzlich anders zu begreifen – ökonomisch, ökologisch- und gesellschaftspolitisch. Deutschland gilt als eine der stabilsten Wirtschaftsräume und ist gleichzeitig erster in Sachen Mobilität. Im Schnitt legen wir gut 41 Kilometer am Tag für durchschnittlich 3,4 Wege zurück. Und sind damit ungefähr 80 Minuten pro Tag beschäftigt. Mobilität ist uns allen ein tiefes Grundbedürfnis, womit nach der ökonomischen die gesellschaftliche Ebene bereits angeschnitten wird. „Wir Deutsche“ gehen hier noch weiter als andere Nationen und lieben unsere Autos vielfach – auf 1.000 Einwohner kommen so stolze 668 PKW.
Neben dieser emotionalen und ökonomischen Bindung steht die ökologische Problematik: Noch immer wird mehr als die Hälfte der Wege mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt, und das zu zwei Dritteln im urbanen Raum – Verkehrskollapse sind vorprogrammiert. Schon jetzt sind Stand- und Stau- sowie Parkplatzsuchzeiten häufig um ein Vielfaches länger als die eigentliche Fahrzeit. Zukunftsweisende Mobilitätskonzepte müssen ökologisch wie wirtschaftlich nachhaltig sein und die Menschen so überzeugen, dass ein Umdenken und vor allem ein Umhandeln stattfindet.

Von Leuchtturmprojekten aus in die Breite gehen

Ganz praktische Lösungen für vielfältige Anwendungen elektrischer Individualmobilität, wie Lastenfahrräder oder Carsharing müssen flankiert werden von kommunalen und städtischen Mobilitätsprojekten. Kopenhagen gilt weltweit als Vorbild für die systematische Förderung des Fahrradverkehrs, die erfolgreichen Zweiradautobahnen sollen auch nach Berlin und München kommen. Der Bund unterstützt Initiativen wie diese mit mehr Budget für Radwege und einem Fördertopf in Höhe von 25 Millionen Euro. Carsharing wird durch ein Gesetz gefördert, das es Kommunen ab Herbst 2017 ermöglicht, entsprechende Parkplatzflächen auszuweisen.
Solche Leuchtturmprojekte sind nur ein Baustein, auch wie der dringend nötige weitere Ausbau des ÖPNV. Ein weiteres Puzzleteil: Vernetzte und autonome Fahrzeuge können durch „handlungsfähige Schwarmintelligenz“ Verkehrsströme optimieren sowie Stand- und Wartezeiten reduzieren. Bis es – gemeinsam mit nachhaltigen Energieträgern – so weit ist, wird es aber noch dauern.
Fest steht: Die Menschheit wird aller technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zum Trotz mehr Mobilität wollen. Gerade deswegen darf der Individualverkehr nicht völlig verteufelt werden. Er ist Teil einer nachhaltigen Mobilitätswende, in der vor allem der Aspekt des Transports eines Menschen oder eines Gegenstandes von A nach B im Vordergrund steht.

Stephan Wild